Das unbekannte Land
14. März 2015
Kurz nach fünf Uhr morgens kündet der Lautsprecher an, dass wir demnächst in Igoumenitsa ankommen werden. In dieser Nacht sind wir von Bari (Italien) nach Griechenland gefahren. Um sechs Uhr verlassen wir die Fähre.
Was nun?
Da weder auf dem Navi noch auf der Karte noch aus den spärlich vorhandenen Wegweisern ein klarer Zielort eruierbar ist, fahren wir aufs Gratwohl los, Richtung Albanien und überqueren bei Konispol die Grenze.
Nun sind wir in Albanien, einem Land, von dem wir keine Vorstellung haben und über das wir nur sehr wenig wissen. Wir haben weder eine vernünftige Strassenkarte noch albanisches Geld.
In Butrint, einem Touristenort, wollen wir uns dies besorgen.
Wir fahren durch eine schöne, karge Hügellandschaft. Als wir kurz anhalten, werden wir von einem jüngeren Mann auf Englisch angesprochen. Er sagt uns, dass er ganz in der Nähe einen Zeltplatz führe. Wir könnten uns den einmal ansehen, wenn wir wollten.
Wir haben die letzte Nacht kaum geschlafen und finden, dass dies ein guter Einstieg für Albanien ist.
In Ksamil finden wir zwar keinen Zeltplatz vor, doch wir bleiben auf der Wiese vor den Appartementshäusern, die seine Familie im Sommer an Touristen vermietet.
Für 10 Euro (wir haben immer noch keine albanische Lek) erhalten wir einen ruhigen, sicheren Übernachtungsplatz mit Strom und Frischwasser. Zudem dürfen wir die Toilette und Dusche in einem der Appartements benutzen.
Die ganze Familie kommt und begrüsst uns. Die Mutter schenkt uns sogar einige Zitronen vom Baum im Garten. Die Tochter bringen uns die ersten albanischen Worte bei.
Hier ein kleiner „Crashkurs“:
– Hallo = Përshëndetje,
– Danke = Falerminderit
– auf Wiedersehen = Mirupafshim
– ja = po
– nein = jo
Wir fühlen uns in Albanien herzlich willkommen.
Der Gang ins Dorf, zu den zwei Bankomaten, ist erfolglos. Der eine erkennt unsere Karte nicht, beim anderen wird während der Transaktion der Bildschirm schwarz. Zum Glück spuckt er wenigstens unsere Karte wieder aus.
Beim Spaziergang am nahe Meer entdecken wir die schöne Bucht von Ksamil.
Uns fallen einige zerstörte Bauten in der Umgebung ins Auge.
Später erzählt uns Elton, ein Sohn der Familie, dass die Häuser ohne „Dokumente“ errichtet wurden und dass die Regierung diese zerstören liess. Er lässt vorsichtig durchblicken, dass hier viel Korruption herrsche, und dass es schwierig sei, eine politische Meinung zu äussern. Falls sich die Machtverhältnisse ändern würden, müsse man mit Sanktionen rechnen.
Am Abend ziehen wir nochmals los. Wir staunen über die schlichte Schönheit der Moschee und des Minaretts.
Am Strand spazieren wir diesmal in die andere Richtung. Hier steht eine Reihe einfacher Bars und Restaurants. Im Sommer muss da die Post abgehen.
Syri i Kalter (Blue Eye)
15. März 2015
Am Morgen füllen wir unseren Frischwassertank, verabschieden uns von der Familie und fahren nach Sarandë. Unser Gastgeber ist gestern extra dort beim Tourismusbüro vorbeigefahren und hat für uns abgeklärt, ob es offen ist und ob es dort Strassenkarten zu kaufen gibt.
Und wirklich, wir können in Sarandë unsere dringendsten Probleme lösen. Wir kriegen Geld vom (dritten) Bankomaten, können einen Strassenatlas vom südlichen Balkan kaufen und unseren Dieseltank füllen.
Das macht den Wohnmobilisten so richtig glücklich: Abwassertank leer, Frischwasser- und Dieseltank voll, Geld in der Landeswährung und eine vernünftige Strassenkarte. 🙂
Die zwei Tipps der Frau im Tourismusbüro sind ebenfalls Volltreffer:
Wir fahren eine löcherige Strasse zur Burg Kalaja e Lekursit hinauf und geniessen die sensationelle Rundumsicht.
Die ehemalige Burg ist heute ein schönes Restaurant, das nur im Sommer geöffnet ist.
Beat hat wieder einen Vogel!
Ein melodiöser Gesang macht ihn auf das kleine Federbällchen aufmerksam. Er packt die Kamera aus und drückt ab. Er stellt fest: „In Albanien gibt es sogar ungekämmte Vögel.“
Dann fahren wir weiter nach Syri i Kalter. Die Quelle soll einen Abstecher wert sein.
Dort drückt das Wasser mit riesiger Kraft senkrecht aus dem Boden. Pro Sekunde sprudeln rund 7.5 m³ (umgerechnet 50 Badewannen voll, pro Sekunde!!!) 10 °C kaltes Wasser aus dem Boden. Wie tief die Quelle ist, weiss man nicht.Wegen dem enormen Wasserdruck konnten bisher erst die obersten 50 Meter erforscht werden.
Doch nicht nur die technischen Daten sind faszinierend.
Das glasklare Wasser wirkt von oben gesehen wie ein blaues Auge. Daher der Name: Syri i Kalter oder: Blue Eye. Das Farbenspiel der Blau- und Grüntöne ist wunderschön.
Es ist sehr eindrücklich, wie aus dem Nichts unvermittelt ein stattlicher Bach aus dem Boden fliesst.
Die Nacht verbringen wir ganz in der Nähe auf einem Parkplatz eines Restaurants, das so früh im Jahr noch geschlossen ist.
Zum Dank schenken wir dem armen ungestreichelten Husky, der hierher zu gehören scheint, einige Streicheleinheiten und sammeln, wie immer an unseren Übernachtungsplätzen, herumliegenden Müll ein.
Einsamer Sandstrand
16. März 2015
Heute gehts zurück nach Sarandë. Am Rande der Stadt haben sich einige Roma niedergelassen. Sie scheinen vom Altmetallhandel und vom Betteln zu leben.
Nun fahren wir durch eine karge Landschaft, hinter der malerisch ein Schneeberg hervorlugt. Immer wieder sind ganze Hügelzüge terrassiert.
Eine Kuh, die es sich auf der Strasse gemütlich gemacht hat, lässt sich von nichts und niemandem stören. Als ehemalige Rinderhirten können wir da nicht einfach vorbeifahren.
Beat fotografiert und ein Auto hält an. Ein Albaner fragt ihn zuerst auf albanisch, dann auf englisch, ob dies der Weg nach Vlorë sei. Beat antwortet, dass er dies hoffe, da wir selber dorthin fahren wollten. Der Mann lacht und findet es „funny“, dass er als Albaner einen Ausländer nach dem Weg fragt. Als er hört, dass wir aus der Schweiz kommen, findet er es gar „crazy“, dass ein Schweizer in Albanien Kühe fotografiert. Lachend fährt er weiter.
Unterwegs sehen wir einen schmalen, asphaltierten Weg, der zum Kloster „Manesteri San Thodori“ führen soll. Wir folgen dem Wegweiser und gelangen nach ca. zwei Kilometern zu einem ruhig gelegenen Parkplatz. Zum „Kloster“ hinauf führt ein breiter Weg, der mit schönen Steinplattten belegt ist. Wir betreten den Klosterhof. Die Klinken am Tor sind zwar abgebrochen, aber man kann das Schloss noch öffnen. Die Gebäude sind nur noch Ruinen und es gibt keinerlei Informationen. Es ist fragwürdig, warum der aufwändige Weg angelegt wurde.
Wir beschliessen hier zu schlafen. Zuerst wollen wir uns aber noch etwas bewegen. Wir folgen einem Weg, der zum Meer hinunter zu führen scheint. Nach etwa dreiviertel Stunden sehen wir von oben eine einsame Bucht mit Sandstrand, durch den ein Bach ins Meer fliesst.
Wir sind die einzigen Menschen weit und breit und schlendern in der schönen Bucht herum. Im Sommer scheint es hier doch einige Badegäste zu geben. In einer der zwei Hütten sind Liegestühle gestapelt. Die andere scheint jeweils eine Strandbar zu beherbergen. Überlaufen kann es jedoch kaum sein, denn der einzige Weg, der hier herunter führt, ist nur mit einem geländegängigen Fahrzeug oder zu Fuss zu meistern.
Link zum heutigen Spaziergang:
Ziegen
17. März 2015
Wir sind müde von den vielen Eindrücken der letzten Tage. Deshalb wollen wir heute an diesem ruhigen Platz bleiben.
Plötzlich hören wir Rufe, Pfiffe und Glockengebimmel. Eine Hirte zieht mit einer Ziegenherde an unserem Wohnmobil vorbei. Annette fragt den Mann (mit Aufsagen der Zahlen von 1 bis 10 und fragenden Gesten), wieviele Tiere er hüte. Er schreibt mit seinem Hirtenstab die Zahl in den Sand: 178.
Er dirigiert die riesige Herde ohne Hund, nur mit Pfiffen, Zurufen und mit vielen rollenden „RRRRs“.
Beim Weiterziehen präsentieren sich einige Ziegen wie auf dem Laufsteg. Wir staunen über die Vielfalt der langhaarigen Tiere.
Über den Lhogara-Pass nach Apollonia
18. März 2015
Wir fahren über viele Haarnadelkurven den Lhogara-Pass hoch. Der Blick aufs Meer und die wolkenverhangenen Schneeberge ist einmalig.
Kurz nach dem Pass finden wir eine Wasserstelle, wo wir unseren Tank und unsere Flaschen wieder auffüllen können. Auf dem Bild sieht man leider auch viel Müll. Wir haben Albanien bis jetzt als ein wunderschönes und sehr vielfältiges Land erlebt. Man sieht viele gepflegte Landschaften, Häuser und Autos.
Für uns unbegreiflich ist der allgegenwärtige Müll. Überall am Strassenrand und an den Bachläufen ist er unübersehbar. Wir fahren durch Dörfer, in denen kein einziger Abfalleimer oder -container zu sehen ist.
Schade!!!
Ein weiteres Problem ist der Strassenzustand. Viele Verkehrswege scheinen mehr Löcher aufzuweisen als ebene Flächen. Solche Löcher oder gar abgerutschte Strassenteile tauchen oft ganz plötzlich auf. Meistens sind sie nicht oder nur schlecht gekennzeichnet.
Am Strassennetz wird aber fleissig gebaut und viele Strecken sind bereits in einem guten Zustand. Doch auch hier kann plötzlich und unerwartet ein Loch oder Absatz die Autofahrer ganz arg durchschütteln.
Die Moral: Fahre immer nur so schnell, dass du jederzeit (auch in der Dämmerung und nachts) auf der überblickbaren Strecke anhalten kannst.
Kurz vor Vlorë finden wir ein Restaurant mit Bar, wo wir auf der Sonnenterrasse einen Internetzugang erhalten.
Annette setzt den letzten Blogteil (Apulien) online und Beat geniesst die Aussicht und die kühle Cola.
Danach fahren wir weiter nach Apollonia (bei Fier). Wir sind spät unterwegs und es wird bereits Nacht. Die Strasse ist in einem guten Zustand. Einzig auf die dunkel gekleideten Fussgänger, Velofahrer und unbeleuchteten Traktoren (zum Abbiegen schwenkt man die dunkelgraue Mütze) muss man aufpassen.
Wir parken ausserhalb von Apollonia und ärgern damit offensichtlich den „Wachhund“ der Ausgrabungsstätte, der lange Zeit unermüdlich zu uns runterkläfft.
Apollonia
19. März 2015
Heute besuchen wir die Ausgrabungsstätte Apollonia. (ein bisschen Kultur schadet niemandem; oder?)
Apollonia (albanisch: Apoloni/a) ist eine Ruinenstätte nahe der Stadt Fier. Sie wurde 588 v. Chr. als dorische Kolonie von Korfu gegründet. Sie wurde nach dem Gott Apollon benannt. Fast tausend Jahre lang war sie ein wichtiges städtisches Zentrum. Es wird geschätzt, dass zur Blütezeit innerhalb der vier Kilometer langen Stadtmauer etwa 60.000 Menschen lebten.
Apollonia wurde auf einem Hügel etwa einen Kilometer nördlich des Flusses Vjosa gebaut, der nach wenigen Kilometern ins Adriatische Meer mündet und in der Antike bis zur Stadt herauf schiffbar gewesen ist.
Seit 229 v. Chr. stand es unter römischen Schutz. Im Innern des ehemaligen Marienklosters, das auf dem Gelände errichtet wurde, befindet sich ein Museum.
Die zur römischen Zeit wichtige Hafenstadt an der Küste Illyriens umfasste im 4. Jahrhundert n. Chr. 81 Hektar. Der Verfall des Handelszentrums setzte ein, als ein Erdbeben den Lauf des Flusses Vjosa änderte und der Hafen Apollonias verlandete.
Vom Hügel, auf dem die antike Stadt stand, hat man einen schönen Ausblick über das Dorf Pojan und die fruchtbare Ebene, die bis ans Adriatische Meer reicht.
Doch auch kleinere, unscheinbare Objekte aus der neuesten Zeit (zum Ort passend mit dem Namen eines griechischen Gottes) werden von uns entdeckt und gewürdigt:
Hermes ist in der griechischen Mythologie der Schutzgott des Verkehrs, der Reisenden, der Kaufleute und der Hirten. Das nehmen wir als gutes Omen. Dass er andererseits auch der Gott der Diebe ist, verdrängen wir aus Selbstschutz.
Am Nachmittag fahren wir in die nahe Stadt Fier. Dort verkaufen die vielen Klein- und Kleinsthändler am Strassenrand alles, was man zum täglichen Leben braucht. Wir sehen einen Mann, der lediglich fünf Salatköpfe, wohl aus dem eigenen Garten, anbietet.
Hier ein kleiner Eindruck:

Rechts der „grosse Gemüser“ mit eigenem Geschäft, links die Kleinsthändler, die ihre Gartenprodukte feilbieten.
So vergeht der Tag wie im Fluge und wir bleiben für eine weitere Nacht in Apollonia.